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Urteil: Ehestmögliche Ersatzbeförderung durch Flüge Dritter

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hat im Auftrag des Sozialministeriums einen Musterprozess unter anderem zur Frage geführt, wer die Kosten der selbst organisierten Rückreise der Konsumentin nach Annullierung ihres Fluges zu tragen hat.

Die Konsumentin hatte sich nach Annullierung ihres Fluges von Düsseldorf nach Wien selbst um die Ersatzbeförderung nach Wien bemüht, weil sie tags darauf pünktlich in Wien sein musste und die bekl Fluglinie ihr keine entsprechend zeitige Ersatzbeförderung zusichern konnte. Die Bekl schlug eine Zugverbindung (Nachtzug mit Umsteigen) vor. Im Übrigen wurde sie an den Schalter einer anderen Fluglinie verwiesen. Dort buchte sie für den gleichen Abend einen Flug nach Salzburg, von wo sie mit dem Zug weiter nach Wien fuhr. Die Bekl buchte die Passagierin auf einen alternativen Flug am nächsten Tag nach Wien über Graz um, informierte sie davon aber erst als sie sich bereits im Zug nach Wien befand.

Gemäß Art 5 Abs 1 lit a der Fluggastrechte-VO (261/2004/EG) sind den Fluggästen bei Annullierung ihres Flugs vom ausführenden Luftfahrtunternehmen Unterstützungsleistungen gem Art 8 Abs 1 der VO anzubieten. Fluggäste können wählen zwischen: Erstattung der Flugscheinkosten und ggf Rückflug zum ersten Abflugort (lit a), anderweitiger Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen zum frühestmöglichen Zeitpunkt (lit b) oder zu einem späteren Zeitpunkt (lit c). Die Unterstützungsleistungen nach Art 8 der VO stehen - im Unterschied zur Ausgleichszahlung nach Art 7 - unabhängig davon zu, ob sich das Luftfahrtunternehmen nach Art 5 Abs 3 der VO auf außergewöhnliche unvermeidbare Umstände berufen kann.

Die Passagierin war ersichtlich bestrebt, noch für den gleichen Abend einen Flug zu bekommen. Der Bekl musste klar sein, dass die Passagierin eine Unterstützungsleistung nach Art 8 Abs 1 lit b der VO wünschte.
Die Ausübung des Wahlrechts iSd Art 8 Abs 1 lit a der VO hätte vorausgesetzt, dass die Passagierin ihren Rücktritt vom Beförderungsvertrag erklärt. Dass die Passagierin mit der Buchung eines Ersatzflugs mit einer anderen Fluglinie nach Salzburg ihr Wahlrecht nach Art 8 Abs 1 der VO iS eines Vertragsrücktritts samt Erstattung der Flugscheinkosten ausgeübt hätte, ist unzutreffend. Die Passagierin buchte diesen Flug nur deshalb, weil ihr dieser von der Bekl nicht angeboten wurde. Aus der unterlassenen Information darüber, dass die Passagierin diesen Flug gebucht hatte, durfte die Bekl nicht darauf schließen, dass nur mehr ein Ersatz der Ticketkosten iSd Art 8 Abs 1 lit a der VO begehrt und von der Reise nach Wien Abstand genommen werde.

Art 8 Abs 1 lit b der VO erfordert das Angebot einer konkreten Ersatzbeförderung. Dass die Bekl die Passagierin darüber informierte, dass der Frühflug ausgebucht sei und die Möglichkeit bestehe, dass ihr Flug am Nachmittag oder Abend des nächsten Tages erfolge, stelle kein solches Angebot einer konkreten anderweitigen Beförderung dar. Die anzubietende anderweitige Beförderung hat unter vergleichbaren Reisebedingungen zu erfolgen. Die Bekl bestreitet nicht, zur Umbuchung auf einen Flug einer anderen Fluglinie verpflichtet zu sein. Die von der Bekl vorgeschlagene Nachtfahrt mit dem Zug von Düsseldorf nach Wien mit Umsteigen und ohne Sitzplatzreservierung entspricht keiner solchen Beförderung unter vergleichbaren Reisebedingungen. Der Verweis, dass sich die Passagierin selbst um die gewünschte Flugverbindung kümmern müsse, kommt der Verweigerung der Bereitstellung einer solchen Ersatzbeförderung gleich. Auch die Umbuchung auf den nächsten Tag entsprach nicht den Anforderungen des Art 8 Abs 1 lit b der VO, weil der Flug nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt erfolgte. Da somit keine der von der Bekl "angebotenen" bzw in Aussicht gestellten Alternativbeförderungen den Anforderungen des Art 8 Abs 1 lit b der VO entsprach, ließ deren Ablehnung den Anspruch der Passagierin auf die nach dieser Bestimmung geschuldete Unterstützungsleistung unberührt. Dass die Passagierin eine solche Ersatzbeförderung nicht ausdrücklich verlangte, ändert nichts an der sich aus Art 5 Abs 1 lit a der VO ergebenden Pflicht, ihr diese Art 8 Abs 1 lit b der VO entsprechende Beförderung anzubieten.

Der Schadenersatz wegen der Nichterfüllung richtet sich nach der jeweiligen nationalen Rechtsordnung (Art 12 Fluggastrechte-VO; EuGH C-83/10, Rodríguez), hier allgemeine Regeln des ö Schadenersatzrecht. Ausgehend von einer Verletzung der Pflicht, der Passagierin die in Art 8 Abs 1 lit b der VO vorgesehene Ersatzbeförderung anzubieten, wodurch die geltend gemachten Kosten verursacht wurden, hängt die Haftung der Bekl letztlich von deren Verschulden ab. Der Bekl gelang der Freibeweis iSd § 1298 ABGB nicht.

OGH 29.08.2018, 1 Ob 133/18t
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Klagsvertreter: Dr. Gerhard Deinhofer, RA in Wien

Das Urteil im Volltext.

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