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Weitere Entscheidung zum Spätrücktritt bei Lebensversicherungen

Ein Rücktritt bei bereits beendeten und ausbezahlten Verträgen ist weiter zulässig. Weder ein rechtswidriges Schriftformerfordernis noch eine fehlerhafte Belehrung über den Beginn der Rücktrittsfrist - "ab Zustandekommen des Vertrags" statt ab "Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags" - führen zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht gemäß § 165a VersVG.

Der Kläger unterfertigte 2007 einen Antrag auf Abschluss einer fondsgebundenen Lebensversicherung. Die Belehrung zum Rücktrittsrecht lautete: "§ 165a VersVG: Es besteht ein Rücktrittsrecht von 30 Tagen ab Zustandekommen des Vertrages." "Bitte beachten Sie, dass alle Rücktrittsrechte der Schriftform bedürfen…"

Der bei Vertragsabschluss geltende § 165a VersVG (idR VersRÄG 2006) lautete: "Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen 30 Tagen nach seiner Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten".

Im Jahr 2016 kündigte der Konsument den Vertrag und erhielt seinen Rückkaufswert ausbezahlt. Im Jänner 2018 erklärte er seinen Rücktritt vom Versicherungsvertrag gemäß § 165a VersVG. Die Versicherung lehnte diesen ab. Der OGH bestätigte den Versicherer.

Der Umstand, dass der Versicherungsvertrag bereits beendet war, schadete nicht. Der OGH verwies hierbei auf die Entscheidung des EuGH zu C-479/18 (zu Vorlagefrage 3), wonach der Versicherungsnehmer sein Rücktrittsrecht auch noch nach Kündigung und Erfüllung aller Verpflichtungen aus dem Vertrag ausüben kann. Versicherungsnehmer können somit auch von bereits - in etwa durch Rückkauf - beendeten Verträgen zurücktreten, sofern ihnen noch ein Rücktrittsrecht zusteht.

Beginn der Rücktrittsfrist: "ab Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags"
Der Verbraucher brachte vor, dass er nicht korrekt darüber belehrt wurde, ab welchem Zeitpunkt seine Rücktrittsfrist zu laufen begann.
 
Der OGH führt hierzu aus, dass es dem durchschnittlichen Versicherungsnehmer schon nach allgemeinen Grundsätzen verständlich ist, dass sein Antrag eine Annahme erfordert und dass damit der Vertrag zustande kommt (s 7 Ob 78/19z). Der Zugang der Polizze als wirksame Annahme des Versicherungsantrags ist gleichzeitig die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags.

Dass die Rücktrittsbelehrung nur auf das Zustandekommen und nicht auf die Verständigung vom Zustandekommen des Vertrags Bezug genommen hatte, hindert den Versicherungsnehmer nicht daran sein Rücktrittsrecht auszuüben und führt folglich auch nicht zu einem unbefristeten Rücktrittsrecht.

Schriftformerfordernis
Der OGH bestätigt zwar grundsätzlich, dass aufgrund des Schriftformerfordernisses eine unrichtige Belehrung über das Rücktrittsrecht durch den Versicherer vorlag. In weiterer Folge und mit Verweis auf die Entscheidung des EuGH zu C-479/18, wird dem Versicherungsnehmer durch das Verlangen nach Einhaltung der Schriftform für die Ausübung seines Rücktrittsrecht nicht die Möglichkeit genommen, sein Rücktrittsrecht im Wesentlichen unter denselben Bedingungen wie bei Mitteilung zutreffender Informationen auszuüben. Weiters bezeichnet der OGH das Schriftformgebot als eine geradezu "typische und faktisch regelmäßig praktizierte Mitteilungsform, die für jedermann einfach und ohne besonderen Aufwand durchzuführen ist, sodass keine für ihre Effektivität relevanten Hürden entgegenstehen." Im Ergebnis stellt das Schriftformerfordernis keine relevante Erschwernis des Rücktrittsrechts dar, die dem Versicherungsnehmer dessen unbefristete Ausübung erlauben würde.

Zusammengefasst steht ein bereits erfolgter Rückkauf der Versicherung der Ausübung des Rücktrittsrechts nicht entgegen. Dass der Konsument vom Versicherer in Bezug auf den Beginn der Rücktrittsfrist und der Notwendigkeit einer Schriftform unrichtig belehrt wurde, ist unschädlich. Die Rücktrittsfrist hat mit Zugang der Polizze 2007 zu laufen begonnen und ist im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung 2018 bereits verfristet gewesen.

OGH 19.2.2020, 7 Ob 6/20p

Anmerkung:
Obige Entscheidung bestätigt weitgehend 7 Ob 4/20v vom 10.2.2020. Gegenstand in 7 Ob 4/20v war aber eine Lebensversicherung aus dem Jahr 1999, sodass hier - anders als in obiger Entscheidung - § 165a VersVG idF VersRÄG 2006 noch nicht zur Anwendung kam, sondern § 165a VersVG idF BGBl I 1997/6. Dieser lautete: "Der Versicherungsnehmer ist berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen des Vertrags von diesem zurückzutreten...". Dh hier wurde für den Beginn der Rücktrittsfrist noch auf das "Zustandekommen des Vertrags" abgestellt. Die Rücktrittsbelehrung in 7 Ob 4/20v ("Gemäß § 165a VersVG ist der Versicherungsnehmer berechtigt, binnen zweier Wochen nach dem Zustandekommen eines Lebensversicherungsvertrages von diesem zurückzutreten...") entsprach inhaltlich bzgl des Fristbeginns dem seinerzeit geltenden Unionsrecht sowie der österreichischen Rechtslage und war daher - nach ihrem Inhalt - nicht fehlerhaft, sondern richtig.

Das Urteil im Volltext.

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