Zum Inhalt

Urteil: Lottotippgemeinschaft als Schneeballsystem

Eine Geschäftspraxis kann nach Anh 1 Z 14 der UGP-RL auch dann als "Schneeballsystem" eingestuft werden kann, wenn zwischen den Beiträgen, die neue Mitglieder an das System zahlen, und den Vergütungen, die die bereits vorhandenen Teilnehmer beziehen, nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht.

Die Loterie Nationale (AG öffentlichen Rechts in Belgien) beantragte die Feststellung, dass das System "Lucky 4 All" ein verbotenes Schneeballsystem, zumindest aber eine irreführende Geschäftspraxis, darstellt.

Nach Anh I Z 14 der RL 2005/29/EG stellt Folgendes eine irreführende Geschäftspraxis dar: Einführung, Betrieb oder Förderung eines Schneeballsystems zur Verkaufsförderung, bei dem der Verbraucher die Möglichkeit vor Augen hat, eine Vergütung zu erzielen, die hauptsächlich durch die Einführung neuer Verbraucher in ein solches System und weniger durch den Verkauf oder Verbrauch von Produkten zu erzielen ist.

Mit dem System "Lucky 4 All" schließt sich eine Gruppen von Personen zusammen, die an den Lotterieziehungen von Loterie Nationale teilzunehmen wünschen. Diesem System liegt die Idee zugrunde, dass die Spieler gegenseitig ihre Gewinnchancen erhöhen, wenn sie gemeinsam spielen. Eine vollständige Spielergruppe im Sinne dieses Systems stellt eine Pyramide mit acht Ebenen dar und ermöglicht es, 9 841 Kombinationen auf einmal zu spielen.  Jeder Teilnehmer muss eine Einstiegsgebühr und einen Monatsbetrag zahlen. Jeder Spieler kann mehrere Lottokombinationen auswählen. Das Spielsystem gibt die Lottoscheine aller Teilnehmer ab. Bei einem Gewinn bekommt der Spieler, der richtig getippt hat, 50 % des Gesamtgewinns; 40 % gehen an die acht Ebenen oberhalb dieser Kombination, wobei das Spielsystem  selbst die ersten vier Ebenen jeder Gruppe einnehme, da erst ab der fünften Ebene die ersten Spieler zugelassen sind. Die übrigen 10 % des Gewinns werden in den Kauf neuer Kombinationen reinvestiert.

Für das Vorliegen eines Schneeballsystems müssen drei kumulative Voraussetzungen erfüllt sein beruhe. Das System muss zusagen, dass der Verbraucher die Möglichkeit haben wird, einen wirtschaftlichen Vorteil zu erlangen. Die Einhaltung dieser Zusage hängt von der Einführung immer neuer Mitglieder ab (diese beiden Voraussetzungen bejahte bereits das nationale Gericht). Weiters werden die an die bereits vorhandenen Teilnehmer ausgekehrte Vergütung hauptsächlich durch die Beiträge neuer Mitglieder finanziert. Diese Voraussetzung verlangt somit einen finanziellen Zusammenhang zwischen den gezahlten Beiträgen und der ausgekehrten Vergütung. Gegenständlich ist dieser Zusammenhang nur mittelbar.

Der EuGH bestätigte nun, dass ein mittelbarer Zusammenhang ausreicht:
Dem Wortlaut von Anh I Z 14 der RL 2005/29/EG lässt sich nicht entnehmen, dass der geforderte finanzielle Zusammenhang zwingend unmittelbar sein muss. Maßgeblich ist, dass die von neuen Teilnehmern an einem solchen System gezahlten Beiträge als "hauptsächlich" oder "grundsätzlich" zu qualifizieren sind. Anh I Z 14 der Richtlinie 2005/29 kann daher auf ein System Anwendung finden, in dem zwischen den von neuen Teilnehmern gezahlten Beiträgen und den von den bereits vorhandenen Teilnehmern bezogenen Vergütungen ein mittelbarer Zusammenhang besteht.

Im Übrigen bestünde bei einer gegenteiligen Auslegung dieser Bestimmung die Gefahr, dass ihr die praktische Wirksamkeit genommen würde, da das Erfordernis eines unmittelbaren Zusammenhangs es ermöglichte, das absolute Verbot von Schneeballsystemen leicht zu umgehen.

EuGH 15.12.2016, C-667/15 (Loterie Nationale)

Das Urteil im Volltext.

Lesen Sie mehr:

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

Irreführende Werbung von T-Mobile mit „Gratis“-Handy

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums den Telekommunikationsanbieter T-Mobile wegen irreführender Bewerbung der „5G-Ready“-Tarife geklagt. Der VKI beanstandete unter anderem, dass die „5G-Ready“-Tarife als Kombinationsangebot „Tarif plus Gratis-Handy“ angeboten wurden, obwohl die Grundgebühr höher war als beim Vergleichstarif ohne Handy. Das Oberlandesgericht (OLG) Wien gab dem VKI nun in zweiter Instanz Recht und sah in der Bewerbung des Handys als „gratis“ einen Wettbewerbsverstoß.

Deliktsgerichtsstand: Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung

Art 7 Nr 2 EuGVVO gilt für eine Klage, die auf die Unterlassung bestimmter Verhaltensweisen im Rahmen einer Vertragsbeziehung zwischen dem Kläger und dem Beklagten gerichtet ist und die darauf gestützt wird, dass der Beklagte unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht seine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich ausnutze.

Weiterer Erfolg bei „Garantieklauseln“ in fondsgebundenen Lebensversicherungen

Bereits Ende 2018 hatte das Handelsgericht (HG) Wien infolge eines vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) erfolgreich geführten Verbandsverfahrens eine sogenannte „Garantieklausel“, die sich in vielen fondsgebundenen Lebensversicherungen befindet, rechtskräftig für unwirksam erklärt. In einem anschließenden Musterprozess, der im Auftrag des Sozialministeriums geführt wurde, ging es um die daraus resultierenden Rechtsfolgen. Das Handelsgericht (HG) Wien gab dem VKI erneut Recht und urteilte, dass die Garantiezusage nicht durch Kostenabzüge wie Abschlusskosten oder Verwaltungskosten geschmälert werden darf.

Urteil: Schutzmaskenhersteller Silvercare wegen irreführender Werbung verurteilt

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums Klage wegen irreführender Geschäftspraktiken gegen die Silvercare GmbH, einen Schutzmaskenhersteller, eingebracht und vor dem Landesgericht (LG) Linz Recht bekommen: Die Silvercare GmbH darf die von ihr vertriebenen MNS-Masken nicht so bewerben, dass der Eindruck entsteht, sie würden den Träger gegen eine Infektion mit dem Coronavirus (SARS-CoV-2) schützen, obwohl die wissenschaftlichen Belege für den Schutz des Trägers nicht als gefestigt anzusehen sind. Das Urteil ist rechtskräftig.

Zum Seitenanfang