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EuGH zur Emittentenhaftung gegenüber Aktienerwerber: Prospekthaftung hat Vorrang vor Kapitalerhaltung

Zum viel diskutierten Spannungsverhältnis von Kapitalerhaltung und Prospekthaftung hat der EuGH nun auch auf unionsrechtlicher Ebene klargestellt, dass die Prospekt- (2003/71/EG), Transparenz- (2004/109/EG) und Marktmissbrauchs-RL (2003/6/EG) einer Haftung der Aktiengesellschaft als Emittentin wegen Verletzung von Informationspflichten gegenüber einem Erwerber von Aktien ebenso wenig entgegen stehen wie ihrer schadenersatzrechtlichen Verpflichtung zu Zahlung des Erwerbspreises und Rücknahme der erworbenen Aktien.

Der rückwirkenden Aufhebung des Aktienkaufvertrags stehen auch Art 12 und 13 der Publizitäts-RL (2009/101/EG) und die Bestimmungen der Kapital-RL (77/91/EG, zuletzt geändert durch RL 2009/109/EG) zu Kapitalerhaltung und Gesellschaftergleichbehandlung (Art 15 f, 18 f, Art 42) nicht entgegen, weil es sich bei Zahlungen aus dem Titel des Schadenersatzes nicht um Kapitalausschüttungen iSd Art 15 Kapital-RL handelt und der damit einhergehende Rückerwerb eigener Aktien außerhalb der ratio legis von Art 18 Kapital-RL liegt. Die Haftung ist nach diesen Bestimmungen auch nicht zwangsläufig auf den Wert der Aktien im Zeitpunkt der Erhebung des Anspruchs beschränkt.

Der von der beklagten Aktiengesellschaft geortete Widerspruch zur früheren Entscheidung des EuGH in der Rs E. Friz (15.4.2010, C-215/08) liegt nach Ansicht des EuGH mangels Vergleichbarkeit der zu entscheidenden Sachverhalte nicht vor. Dort hatte der EuGH ausgesprochen, dass eine nationale Regelung, die dem Widerruf des Beitritts eines Verbrauchers zu einem Immobilienfonds in Form einer Personengesellschaft aus Gründen des Bestands- und Verkehrsinteresses nur ex nunc-Wirkung (daher: keine Beseitigung des Vertragsabschlusses mit bereicherungsrechtlicher Rückabwicklung) zubilligt, mit der Haustürwiderrufs-RL (85/577/EWG) vereinbar ist, die keinen absoluten Verbraucherschutz garantiere. Im Unterschied dazu beruhe der Rückabwicklungsanspruch des Verbrauchers bei der Kapitalmarktinformationshaftung aber auf einem pflichtwidrigen Verhalten der emittierenden Gesellschaft, durch die dem Aktienerwerber ein Schaden entstanden ist. Daher besteht laut EuGH für das im Urteil E. Friz berücksichtigte Kriterium eines vernünftigen Ausgleichs und einer gerechten Risikoverteilung zwischen den Beteiligten als Maßstab für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer nationalen Vorschrift mit dem Unionsrecht kein Raum.

Damit folgt der EuGH den Schlussanträgen von GA Sharpston. Offen gelassen wurde, ob dies auch dann gilt, wenn die Ansprüche der Anleger die Insolvenz der Gesellschaft zur Folge hätten.

Vorabentscheidungsersuchen des HG Wien: Im Anlassfall hatte der Kl, Herr Hirmann, nach Erwerb von Immofinanz-Aktien am Sekundärmarkt von der Immofinanz-AG unter Berufung auf § 6 Abs 2 iVm § 5 Abs 4 KMG und § 11 KMG sowie auf Irrtumsanfechtung und Schadenersatz die Rückzahlung des Erwerbpreises Zug um Zug gegen Rückübertragung der Aktien begehrt.

EuGH 19.12.2013, C-174/12 (Hirmann/Immofinanz-AG)

Anmerkung:

Zuvor hatte der OGH bereits - ohne die Rechtsfrage dem EuGH vorzulegen - ausgesprochen, dass die mit Prospekthaftungsansprüchen gem § 11 KMG (30.3.2011, 7 Ob 77/10i) und Schadenersatzansprüchen wegen Verletzung der ad-hoc-Publizitätspflicht oder marktmanipulativer Handlungen gem § 48d Abs 1, § 48a Abs 1 Z 2 BörseG iVm § 1311 S 2 ABGB (15.3.2012, 6 Ob 28/12d) einhergehende (Rück-)Abwicklung des Kaufvertrags nicht gegen das Verbot der Einlagenrückgewähr (§ 52 AktG) oder die Grundsätze der Lehre vom fehlerhaften Verband verstößt.

Offen gelassen wurde eine etwaige Nachrangigkeit der Anlegeransprüche in der Insolvenz der Gesellschaft (vgl für Genussscheininhaber 1 Ob 34/13a: keine Analogie zu § 57a IO unabhängig von ihrer Stellung als Fremd- oder Eigenkapitalgeber). Dazu Told, GES 2012, 333 vs Trenker, ÖBA 2013, 187.

Vgl zum Verhältnis von Kapitalerhaltung und Prospekthaftung den - kontroversen - Meinungsstand im Schrifttum: Pro Kapitalerhaltung zB Gruber, Kapitalmarktinformationshaftung der Aktiengesellschaft und Kapitalerhaltungsgrundsatz, JBl 2007, 90; ders, Prospekthaftung der AG versus Kapitalerhaltung, GesRZ 2010, 73; Eckert, Emittentenhaftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformation und aktienrechtliche Kapitalerhaltung, GesRZ 2010, 88; Harrer, Zivilrechtliche Irritationen im Kapitalmarkt, ZFR 2011, 9; Krejci, Anlegerschutz des Aktionärs, Kapitalerhaltung und fehlerhafte AG, GesRZ 2011, 193; Karollus, Neues zur Prospekthaftung, ÖBA 2011, 450; U. Torggler, Emittentenhaftung: roma locuta und alle Fragen offen, ecolex 2011, 1121. Dagegen zB Rüffler, Kapitalmarkthaftung und Verbot der Einlagenrückgewähr, GES 2010, 4; ders, Haftung für fehlerhafte Kapitalmarktinformationen und Kapitalerhaltung in der AG, in FS Straube (2009) 113; Reich-Rohrwig, Grundsatzfragen der Kapitalerhaltung (2004) 362 ff. Vermittelnd für eine Beschränkung auf das ausschüttbare Vermögen zB Kalss, Anlegerinteressen (2001) 218 ff.

Zur europarechtlichen Dimension im Speziellen Roth, Kapitalerhaltung versus Prospekthaftung: Die europäischen Richtlinien, JBl 2012, 73.

Das Urteil im Volltext

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