Zum Inhalt

EuGH: Rückenwind für VKI-Sammelklagen gegen Lebensversicherer

Europäisches Höchstgericht klärt in vier verbundenen Verfahren zahlreiche offene Fragen zum "Spätrücktritt" weitgehend zugunsten der betroffenen Versicherungsnehmer.

Nach einer grundlegenden Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) und einer Entscheidung des Obersten Gerichtshofes (OGH) stand einem Versicherungsnehmer bei fehlender oder fehlerhafter Belehrung durch den Versicherer ein unbefristetes Rücktrittsrecht zu, der sogenannte "Spätrücktritt" - in Österreich galt dies jedenfalls unbeschränkt bis zum 31.12.2018.

Im Falle eines derartigen Rücktritts ist der Vertrag jedenfalls rückabzuwickeln. Wie das rechnerisch genau zu erfolgen hat, war aber in einigen Punkten strittig. Daher legten das LG Salzburg und das BG für Handelssachen Wien dem EuGH mehrere Fragen im Zusammenhang mit dem "Spätrücktritt" zur Entscheidung vor. Diese Fragen wurden in insgesamt 4 Rechtssachen verbunden, involviert waren einige wesentliche österreichische Lebensversicherer wie die Nürnberger Versicherung AG, die UNIQA Österreich Versicherung, die Allianz Elementar Lebensversicherung AG und die Donau Versicherung AG (C-355/18, C-356/18, C-357/18, C-479/18).

Der EuGH folgt überwiegend den Schlussanträgen der Generalanwältin und entscheidet die meisten Fragen zugunsten der betroffenen Versicherungsnehmer.

Der EuGH  entschied nun beim Großteil der offenen Fragen zugunsten der Versicherungsnehmer:

  • Die Rücktrittsfrist kann nicht zu laufen beginnen, wenn der Versicherungsnehmer eine fehlerhafte Rücktrittsbelehrung erhalten hat.
  • Die Rücktrittsfrist beginnt im Fall einer fehlerhaften oder unterlassenen Rücktrittsbelehrung nicht zu laufen, wenn der Versicherungsnehmer auf einem anderen Weg von seinem Rücktrittsrecht Kenntnis erlangt hat.
  • Das Rücktrittsrecht erlischt nicht im Fall eines Rückkaufes (also im Fall einer vorzeitigen Kündigung nach Erklärung des Rücktritts).
  • Eine Beschränkung auf den meist niedrigen Rückkaufswert ist unzulässig.
  • Eine Beschränkung der Vergütungszinsen der nach einem Spätrücktritt zu erstattenden Prämien auf den Zeitraum der letzten drei Jahre ist unzulässig, wenn dadurch der Versicherungsnehmer abgehalten werden könnte, sein Rücktrittsrecht auszuüben, obwohl der Vertrag nicht seinen Bedürfnissen entspricht. Eine Beschränkung der Vergütungszinsen auf die letzten drei Jahre wird vom EuGH daher als fraglich angesehen.

Der EuGH hält außerdem fest, dass die Erklärung des Rücktritts in einer vom Versicherer vorgeschriebenen Form geeignet ist, den Verbraucher im Hinblick auf sein Rücktrittsrecht irrezuführen und daher einer fehlenden Belehrung gleichzusetzen ist. Eine Belehrung eines Versicherers über eine bei der Erklärung einzuhaltenden Form ist als fehlerhaft anzusehen, wenn sie nicht den zwingenden Vorgaben des anwendbaren Rechts entspricht.

Nach österreichischem Recht bestand für die Rücktrittserklärung zwingend eine Formfreiheit. Dennoch haben manche österreichische Versicherer gesetzwidrig die Schriftform vereinbart, obwohl diese verboten war. Solche Rücktrittsbelehrungen der Versicherer sind daher wahrscheinlich als fehlerhaft anzusehen und war damit ein Spätrücktritt zulässig.   

Die EuGH-Entscheidung hat insbesondere für die anhängigen Sammelklagen des VKI Bedeutung. Der VKI hat im Herbst 2019 im Auftrag des Sozialministeriums und für rund 850 Personen und mit Finanzierung durch die Roland ProzessFinanz AG insgesamt sechzehn Sammelklagen gegen die FWU Life Insurance Austria AG (vormals Skandia Leben AG), die Nürnberger Versicherung AG Österreich und die Scottish Widows Limited (vormals Clerical Medical Investment Group Ltd. - kurz CMI) eingebracht. Der Gesamtstreitwert beträgt rund 14 Millionen Euro. Auf Basis der vorliegenden Entscheidung können die Gerichte in den Sammelverfahren zügig die eingeklagten Ansprüche beurteilen.

EuGH 19.12.2019, verb. Rs C-355/18 bis C-357/18 und C-479/18

Diesen Beitrag teilen

Facebook Twitter Drucken E-Mail

This could also be of interest:

Unzulässige Klauseln in den Geschäftsbedingungen der Erste Bank

Der VKI hatte im Auftrag des Sozialministeriums die Erste Bank der österreichischen Sparkassen AG geklagt. Gegenstand des Verfahrens waren Klauseln aus den Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Online-Banking „George“ sowie zu Sparbüchern. Dabei wurden vor allem Vertragsbestimmungen zur Haftung der Kundinnen und Kunden in Missbrauchsfällen, unzulässige Anzeigepflichten sowie Klauseln zur Verzinsung von Sparbüchern beanstandet. Bereits das Oberlandesgericht (OLG) Wien hatte 14 Klauseln für unzulässig erklärt. Der Oberste Gerichtshof (OGH) gab der dagegen eingebrachten Revision der Erste Bank in keinem einzigen Punkt Recht, sondern bestätigte die Gesetzwidrigkeit der 14 Klauseln. 

OLG Wien bestätigt Gesetzwidrigkeit der Ausnahmesituationsklausel in der Rechtsschutzversicherung

Bereits Ende letzten Jahres erklärte das Handelsgericht (HG) Wien die Klausel in einem vom Verein für Konsumenteninformation (VKI) im Auftrag des Sozialministeriums geführten Verfahren für gesetzwidrig. Das Oberlandesgericht (OLG) Wien bestätigte das Urteil nun. Rechtsschutzversicherer dürfen die Klausel daher nicht als Grund für Deckungsablehnungen heranziehen. Das bedeutet, dass Versicherer coronabedingte Rechtsstreitigkeiten in vielen Fällen zu Unrecht ablehn(t)en. Das Urteil ist rechtskräftig.

Klauseln des Internetbanking-Schutzpakets der Unicredit unzulässig

Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) klagte im Auftrag des Sozialministeriums die Unicredit Bank Austria AG wegen Klauseln in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen für das Internetbanking Schutzpaket „JUST-IN-CASE“. Dieses Produkt soll Verbraucher im Internetbanking gegen finanzielle Schäden durch Internetkriminalität absichern. Dabei klärte die Bank aber nicht ausreichend darüber auf, wann die Kunden nach dem Gesetz ohnehin keine Haftung trifft. Das Handelsgericht Wien (HG) hat nun alle eingeklagten Klauseln als unzulässig beurteilt. Das Urteil ist nur teilweise rechtskräftig, da die Beklagte zu einer Klausel Berufung erhoben hat

Urteil zur vorzeitigen Kreditrückzahlung

Der VKI führt im Auftrag des Sozialministeriums ein Verfahren gegen die Unicredit Bank Austria AG. Es geht in dem Verfahren um die Frage, ob bei vorzeitiger Kreditrückzahlung auch die laufzeitunabhängigen Kosten anteilig zurückerstattet werden müssen und ob dies auch für die Rechtslage vor dem 1.1.2021 gilt. Das Oberlandesgericht (OLG) Wien gab dem VKI Recht und bestätigte, dass auch nach der alten Rechtslage bei vorzeitiger Kreditrückzahlung nicht nur die laufzeitabhängigen Kosten, sondern auch die laufzeitunabhängigen Kosten anteilig von der Bank zurückzuerstatten sind. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

VKI-Erfolg gegen Online-Broker DEGIRO

DEGIRO B.V. ist ein international tätiger Web-Trader mit Sitz in den Niederlanden, der auf „degiro.at“ eine Online-Trading-Plattform anbietet, über die Kundinnen und Kunden Wertpapiere erwerben können. Der Verein für Konsumenteninformation (VKI) hatte im Auftrag des Sozialministeriums DEGIRO wegen diverser Klauseln in den Geschäftsbedingungen geklagt. Nachdem bereits das Handelsgericht Wien und das Oberlandesgericht Wien dutzende Klauseln als unzulässig beurteilt haben, liegt nun die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs (OGH) vor: Das Höchstgericht erachtet 48 Klauseln als gesetzwidrig.

Zum Seitenanfang